Reißen, schrubben, klopfen

Udo Schindler und Harald Kimmig improvisieren im Salon für Klang und Kunst

Erschienen in Süddeutsche Zeitung

Von Reinhard Palmer, Krailling

Beide gehören im Grunde schon zum Urgestein der freien Improvisationsmusik. Während vielbelesener Blas-Allrounder Udo Schindler auch ein Architekturbüro unterhält, konzentriert sich Violinist Harald Kimmig seit seinem Studium der Philosophie, Soziologie und Kunstgeschichte einzig auf die Musik. Der Background ist bei der Ad-hoc-Improvisation nicht ohne Bedeutung, ist die Musik schließlich nicht aus der Luft gegriffen, sondern sprudelt aus den Untiefen des Unterbewusstseins hervor. Das psychologische Moment macht sich auch darin bemerkbar, ob die Musiker miteinander können oder nicht. Beim gut besuchten 76.Salon für Klang+Kunst bei Schindler in Krailling passte die Konstellation insofern geradezu ideal, weil beide Musiker über weltoffene Horizonte und an den Instrumenten ein vergleichbares Vokabular verfügen, das beim engen Dialogisieren ausgesprochene Homogenität möglich machte. Eine wichtige Komponente war zweifelsohne die geräuschhafte Tonerzeugung. Kimmig nutzte ein weites Spektrum an Möglichkeiten seiner Violine beim Bogenspiel, Martelé, springenden Spiccato, Zupfen, Reißen, Schrubben, Reiben, Kratzen, Klopfen oder Wischen, um ein breites Spektrum an suggestiven, ja narrativen Bildern zu erzeugen. Schindlers Antworten kamen nicht weniger differenziert. Schon alleine die Wahl zwischen Kornett, Bassklarinette und Tuba – zumal mit unkonventionellen Techniken angeblasen, überblasen, geknutscht oder durchgesungen – verlieh dem Duo ein üppiges farbliches Spektrum. Mit diesen raffinierten Spieltechniken waren die Möglichkeiten aber noch lange nicht ausgeschöpft. Schindler ist ein Experimentierer und Tüftler, der mit Dämpfern spielt, mit deren Bestandteilen auf die Klarinettenmechanik klopft oder sonst ein Klappern und Scheppern in metallischer Trockenheit den klingenden Tönen gegenüberstellt. Dadurch entstanden klar voneinander getrennte Klangcharakter-Schichten.

Klar ausgespielte, substanzvolle Passagen fehlten keinesfalls, dann eben genau platziert und aus den gezielt angestauten Emotionen heraus. Meist als intensive Ausbrüche in wilder Zerrissenheit oder als schrilles Keifen in hohen Lagen, das über längere Strecken anhalten konnte. Bisweilen wurde es auch minimalistisch, bis hin zu ausgedehnten Passagen mit einem einzigen Ton, der dennoch oszillierend und changierend in Farbe und Charakter keine Monotonie aufkommen ließ, vielmehr als Ausdruck von Intensität und Eindringlichkeit wirkte.