Klänge aus Jahrtausenden

Udo Schindler und Xu Fengxia

Erschienen in Süddeutsche Zeitung

Von Reinhard Palmer, Krailling

Auch wenn die freie Improvisation in der musikalischen Tradition Chinas als eigene Disziplin wohl keinen Bestand hat, weil sie vom Sinn her nicht der Logik der chinesischen Kultur entspricht, sind chinesische Musiker dennoch glänzende Improvisationskünstler. Das liegt daran, dass in der chinesischen Musik eine weitgehende Freiheit in der Ausgestaltung besteht. Entscheidend sind Klangfarbe, Ausdruck und Melodie. Wie sie jedoch dargeboten werden, obliegt dem Interpreten, der seinen eigenen Weg dafür finden darf. Wenn also Ad-hoc-Improvisationsmusiker Udo Schindler die vielseitige chinesische Tonkünstlerin Xu Fengxia in seinen Kraillinger Salon für KLANG+KUNST einlud, dann war hier eine ungewöhnliche Vorstellung zu erwarten.

Das lag bereits am Instrumentarium. Sowohl die 21-saitige zitherartige Guzheng als auch die dreisaitige Langhals-Banjo-Variante Sanxia sind eng mit der chinesischen Tradition verbunden. Mit ihrer pentatonischen Stimmung ist die Guzheng geradezu der Inbegriff der Jahrtausende alten Tonkunst Chinas, die mit auf viele Arten geformtem Vibrato, Schleiftönen, Glissandi, Tremolos und vor allem singender Melodik basiert. Bei Xus stimmlichen Einsätzen kam eine Kuriosität hinzu: In unseren Ohren waren chinesische Lieder nicht immer von Improvisationen zu unterscheiden. So flocht Xu auch schon mal ein mongolisches Lied vom Pferderennen hinein, wohl weil es gerade zum galoppierenden Rhythmus gut passte. Im Kontext hatte der inbrünstig-leidenschaftliche Gesang mit kraftvoller, emotional stark modellierter Stimme schon viel Witz und fesselnde Eigenart.

Für Udo Schindler an der Klarinette, Bassklarinette und Kontrabassklarinette keine leichte Aufgabe, damit umzugehen, neigte diese Musik doch stark zu Harmonie und Schönmelodik, die der spontanen Schöpfung schnell eben eine konventionelle Charakteristik untermischte. Dieses daraus resultierende gegenseitige Herausfordern brachte aber auch gerade deshalb viel Spannung ins Spiel, zumal Xo keinesfalls zaghaft und nur folkloristisch zur Sache ging. Als einstige Rockbassistin neigte sie auch zu bluesigen Grooves, mit denen sie Steigerungen bis hin zu Saiten-Schredderattacken in dröhnender Lautstärke oder auch auf der Guzheng handgetrommelte Rhythmen aufzubauen vermochte. Hier konnte Schindler mit wilden experimentellen Tongirlanden bis in die schrillsten Höhen antworten.

Stimmig für das Duo erwies sich die Nutzung eines weiten Tonraums von dunklen Tiefen bis ins schmerzhafte Quietschen in extremen Hochlagen. Das machte viel Platz für Klangspiele und auch motivische Erfindungen, die vor allem Seitens Xu der Improvisation immer wieder sehr konkrete und auch harmonisch fassbare Züge bescherte. Doch es blieb dabei nicht bei der Schönklang-Pentatonik: Die Stege der Guzheng, auf denen die Saiten liegen, lassen sich leicht verschieben, das Instrument damit schnell umstimmen. So konnte die Harmonik des Instruments mit wenigen Handgriffen aufgehoben werden. Das so konkret gespielte Material forderte Schindler ebenfalls dazu heraus, dem minimalistische Passagen im Sinne Neuer Musik entgegenzusetzen. So kam es bisweilen zur satten Klangsubstanz, insbesondere mit den tiefen Klarinetten. Als Zugabe gab es von Schindler eine rhythmisierte Einlage auf einer Sheng ähnlichen chinesischen Rohrflöte. Xu brachte ein „Schlaflied“ aus dem Nordosten Chinas mit anschließender improvisatorischen Verarbeitung ein.